Zusammenfassung des Jahresberichts 2022 der Schlichtungsstelle BGG
Die Schlichtungsstelle nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) legt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, jährlich einen Bericht über ihre Arbeit vor.
Grußwort des Behindertenbeauftragen des Bundes, Jürgen Dusel
Grußwort des Behindertenbeauftragen des Bundes, Jürgen Dusel
bei der Schlichtungsstelle nach dem BGG ist im Jahr 2022 der 1000ste Antrag eingegangen. Für mich ist das eine gute Nachricht. Sie zeigt, dass die Einrichtung der Schlichtungsstelle 2016 ein richtiger Schritt zur einfachen und gütlichen Konfliktlösung bei Barrieren und Benachteiligung war. Menschen mit Behinderungen haben damit ein niedrigschwelliges und kostenloses Verfahren zur Durchsetzung ihrer Rechte bekommen, das sie immer häufiger nutzen.
Gleichzeitig zeigt die beständig hohe Zahl von Anträgen aber auch, dass viele öffentliche Stellen des Bundes ihren Verpflichtungen aus dem BGG bis heute nicht vollständig nachkommen. Das gilt nach wie vor für den Bereich der baulichen Barrierefreiheit, wie 2022 der Evaluationsbericht zur BGG-Reform gezeigt hat.
Das gilt aber vor allem für den Bereich der digitalen Barrierefreiheit, der immer mehr an Bedeutung gewinnt. Viel zu oft sind die Vorschriften der BITV 2.0 von 2016, die auf Europäischem Recht beruhen, in Deutschland noch „Law in the books“; Gesetze, die von den Behörden nicht oder nicht mit der Dringlichkeit umgesetzt werden, die ihnen gebührt. Es reicht eben nicht, die Verantwortung für Barrierefreiheit im digitalen Bereich der IT-Abteilung zu übertragen. Die Umsetzung der digitalen Teilhabe muss in jeder Behörde Chefsache sein, und muss bei allen Prozessen von Anfang an mitgedacht werden.
Es reicht auch nicht, Expertinnen und Experten mit Behinderungen bei der Entwicklung von technischen Standards einzubeziehen, wie dies in den technischen Arbeitsgruppen inzwischen gute Praxis ist, wenn bei der Einrichtung der digitalen Angebote diese Standards nicht bekannt sind oder diese nicht angewendet werden.
Wer als öffentlicher Träger seine Websites und mobilen Anwendungen nicht von Anfang an mit einem großzügigen barrierefreien Design anbietet, ist nicht auf der Höhe der Zeit. Da kann die Gestaltung der Auftritte optisch noch so modern sein. Und die Erfahrung der Schlichtungsstelle zeigt: Eine vorausschauende Einbeziehung der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ist oft weniger aufwändig, als eine Nachbesserung, die meist als Ergebnis eines Schlichtungsverfahrens notwendig wird.
Und nur durch eine vorausschauende Planung lassen sich auch die Herausforderungen durch die fortschreitende Gesetzgebung in diesem Bereich bewältigen. Ich denke hier vor allem an die Reform und die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Nach dem derzeitigen Stand des Gesetzesentwurfs ist in diesem Entwurf Barrierefreiheit als Teil des Zielbildes der Nutzerfreundlichkeit für die Bürgerinnen und Bürger vorgeschrieben. Ich werde mich dafür einsetzen, dass bei der Umsetzung des OZG und der Verwaltungsdigitalisierung die Barrierefreiheit und die einfache Bedienbarkeit von IT-Produkten noch stärker als bisher gesetzlich verankert werden.
Gleichzeitig werde ich mich dafür einsetzen, dass analoge Möglichkeiten der Kommunikation mit Behörden erhalten bleiben. Denn bei allen Vorteilen, die durch die zunehmende Digitalisierung für Menschen mit Behinderung entstehen: Ich nehme auch die stärker werdenden kritischen Stimmen ernst. Nicht nur ältere Menschen wünschen sich, dass Sie weiter analoge Dienstleistungen und persönliche Beratungsmöglichkeiten nutzen können. Diese Angebote dürfen nicht komplett auf dem Altar der Wirtschaftlichkeit und der Bits und Bites geopfert werden.
Bei all dem ist noch nicht berücksichtigt, dass 2025, mit dem In-Kraft-Treten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetztes die Barrierefreiheit auch für private Anbieter digitaler Produkte und Dienstleistungen verpflichtend wird. Die Schlichtungsstelle wird dann auch zuständig sein für die Schlichtung von Streitigkeiten, die sich aus diesen neuen Rechten ergeben. Das bringt eine große Herausforderung und eine große Verantwortung für die bisher mit nur fünf Personen arbeitende Stelle mit sich.
In der Schlichtungsstelle arbeiten Menschen für und mit Menschen. Der niedrigschwellige persönliche Zugang für die Antragstellenden und das persönliche Gespräch sind die Grundlage für eine einvernehmliche Konfliktlösung. Um die neuen Herausforderungen bestehen und die Schlichtungsverfahren in der bekannten Sorgfalt durchführen zu können, wird auch zukünftig eine auskömmliche Personalausstattung der Schlichtungsstelle notwendig sein.
Eine Frau, die seit ihrer Kindheit auf den Rollstuhl angewiesen ist, hatte nach ihrer Ausbildung eine befristete Beschäftigung gefunden. Sie beantragte Leistungen der Kraftfahrzeughilfe, da ihr privat beschaffter PKW alt sei und wegen ihrer fortschreitenden Erkrankung für sie nicht mehr nutzbar wäre. Deshalb benötige sie einen Kleinbus mit einem Hublift. Entsprechende Angebote von Kraftfahrzeugausrüstern legte sie vor. Der Sozialleistungsträger führte eine umfassende Prüfung der medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen durch, die auch nach mehreren Ortsterminen und Gutachten noch nicht zu einer Entscheidung geführt hatte - unter anderem, weil die Entfristung des Arbeitsvertrages der Antragstellerin nicht gesichert war.
In einem online geführten Schlichtungsgespräch sagte der Sozialleistungsträger zu, die Voraussetzungen für die Kraftfahrzeughilfe ohne neue Begutachtung zügig zu prüfen und zunächst eine Zusicherung zu geben. In der Zusicherung wurde festgestellt, dass der Anspruch der Antragstellerin auf Kraftfahrzeughilfe anerkannt wurde, Details jedoch noch zu klären waren. Nachdem der Arbeitsvertrag der Antragstellerin entfristet wurde, wurde ihr die Kraftfahrzeughilfe im gewünschten Umfang gewährt.
Ein ausgebildeter Signalhund gab zehn Jahre lang einer Frau mit eingeschränktem Hörvermögen Sicherheit bei den Aktivitäten des täglichen Lebens. Nachdem er gestorben war, begannen die Probleme der Antragstellerin. Der neue Hund, dessen Ausbildung die Antragstellerin nicht von ihrer Rente, sondern nur Schritt für Schritt durch Spenden finanzieren konnte, wurde in den Geschäften und Behörden nicht akzeptiert, weil noch kein Ausbildungsnachweis vorlag. Die Rechtslage für Assistenzhunde in Ausbildung ist zu diesem Zeitpunkt noch ungeklärt. Mit mehreren Schreiben an die Lebensmittel-Discounter, bei denen die Antragstellerin abgewiesen worden war, warb die Schlichtungsstelle für eine gütliche Einigung mit der Antragstellerin. In den meisten Fällen konnte so ein Zutrittsrecht für die Antragstellerin erreicht werden. Auch ein Gesprächstermin bei der Stiftung Anerkennung und Hilfe konnte mit dem neuen Hund wahrgenommen werden.
Mehrere Anträge rankten sich um vielfältige Barrieren digitaler Bürgerportale von Bundesbehörden. So wurden zum Beispiel mangelnden Navigationsmöglichkeiten für blinde Menschen und fehlende barrierefreie Dokumente oder Antragsformulare beklagt. Hinzu kamen oft veraltete oder unvollständige Barrierefreiheitserklärungen. Die Behörden beriefen sich zur Rechtfertigung oft auf laufende Umbauarbeiten an dem Portal und auf Engpässe bei ihrem technischen Dienstleister.
So wandte sich zum Beispiel ein Antragsteller mit Sehbehinderung an die Schlichtungsstelle, weil in einer im Alltagsleben benötigten App einer Bundesbehörde die Erklärung zur Barrierefreiheit und der Feedbackmechanismus fehlten. Nachdem zunächst eine Abhilfe mit dem nächsten Update in Aussicht gestellt worden war, verzögerte sich dies immer wieder, da aus Sicht des Antragsgegners andere Nachbesserungen eine höhere Priorität hatten. Durch stetes Nachhaken der schlichtenden Person konnte am Ende aber letztlich eine Umsetzung erreicht werden.
In einem weiteren Verfahren war eine blinde Bürgerin bei der Online-Antragstellung auf Geldleistungen mit verschiedenen Barrieren konfrontiert. So waren beispielsweise die per Post zugesandten Zugangsdaten zum Kundenportal zunächst nicht barrierefrei. Auch mit ihrem Verlangen auf Zugänglichmachung von Schriftverkehr im Verwaltungsverfahren stieß sie auf wenig bürgerfreundliche Abläufe. Im Schlichtungsverfahren konnte unter anderem erreicht werden, dass die Bürgerin die an sie adressierten Behördenschreiben auf einem Datenträger (USB-Stick) erhielt. Zudem wurde seitens der Behörde ein zentraler Prozess zur barrierefreien Zugänglichkeit von Dokumenten in Gang gesetzt, der 2022 jedoch noch nicht abgeschlossen war.
Insgesamt konnte in Schlichtungsverfahren rund um das Thema Digitale Barrierefreiheit mehrfach erreicht werden, dass sich die Behörden auf einen Zeitplan mit konkreten Schritten und Terminen für die Beseitigung der Barrieren und eine Aktualisierung der Barrierefreiheitserklärung verpflichteten.
Ein Antragsteller mit atypischem Autismus wandte sich in einem Konflikt mit einem Sozialversicherungsträger wegen der Förderung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen an die Schlichtungsstelle. Der Antragsgegner hatte dies zunächst abgelehnt und den Besuch einer Berufsschule vorgesehen. Dem sah sich der Antragsteller behinderungsbedingt allerdings nicht gewachsen. Die Tätigkeit in der Werkstatt wurde von dem Antragsteller gewünscht, weil er sich bereits im Rahmen mehrerer Praktika einen positiven Eindruck von der Werkstatt hatte verschaffen können und sie für seine Bedürfnisse als besonders gut geeignet empfand. Im Schlichtungsverfahren konnte erreicht werden, dass die Angelegenheit auf höherer Ebene nochmals überprüft wurde, und es letztlich zur Bewilligung der vom Antragsteller gewünschten Maßnahme kam.
Ein Antragsteller mit Autismusspektrumstörung wandte sich wegen Barrieren im dualen Studium bei einer Bundesbehörde sowie bei Prüfungen an die Schlichtungsstelle. Im Rahmen einer Mediation konnte auf Behördenseite das Verständnis für die schwierige Situation des Antragstellers maßgeblich verbessert werden. In der Mediationsvereinbarung wurden Maßnahmen zur weiteren Studien- und Prüfungsgestaltung sowie regelmäßige Gespräche mit einem festen Ansprechpartner vereinbart.
Auch im Jahr 2022 konnte die Schlichtungsstelle in vielen Fällen im Wege einer Verweisberatung dabei helfen, Probleme zu lösen, wenn aufgrund fehlender Zuständigkeit kein Schlichtungsverfahren möglich war.
1. Geltendmachung eines Impfschadens
Ein Antragsteller wandte sich an die Schlichtungsstelle BGG mit der Bitte um Unterstützung wegen eines von ihm vermuteten Impfschadens nach einer Impfung gegen Covid-19. Die Schlichtungsstelle wies ihn darauf hin, dass im Falle eines Impfschadens ein Anspruch auf Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) bei den örtlichen Versorgungsämtern geltend gemacht werden kann. Da die Versorgungsämter in Deutschland in der Zuständigkeit der Länder liegen und damit keine öffentlichen Stellen des Bundes sind, war ein Schlichtungsverfahren nach dem BGG zu diesem Anliegen nicht möglich.
2. Diskriminierung wegen physischer Barrieren auf Gemeindeebene
Ein Rollstuhlfahrer stellte einen Schlichtungsantrag, weil er schon lange wegen vermeidbarer Barrieren an seinem Wohnort durch den örtlichen Gemeinderat diskriminiert worden sei.
Ein Schlichtungsverfahren war aufgrund der gesetzlich festgelegten Zuständigkeiten nicht möglich, da hier die kommunale Ebene berührt war. Der Antragsteller wurde jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass er sich an die Beauftragte des Landkreises für die Belange von Menschen mit Behinderungen wenden kann. Eine weitere Möglichkeit, sich gegen Diskriminierungen aufgrund Behinderung zu wehren, bestand in diesem Fall mit der Antidiskriminierungsstelle des betreffenden Bundeslandes, auf die der Antragsteller hingewiesen wurde.
3. Schnellstmögliche Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme
Ein Antragsteller bat für seine Schwester um Hilfe für den schnellen Beginn einer medizinisch dringend notwendigen Anschlussrehabilitation nach einem schweren Unfall im Ausland und mehreren daraufhin erforderlichen Operationen. Die Krankenkasse wollte einen Aufnahmetermin in einer geeigneten Rehabilitationseinrichtung erst in vier bis fünf Monaten in Aussicht stellen. Ein Schlichtungsverfahren war in diesem Fall nicht möglich, da die regional zuständige Krankenkasse der Aufsicht des betreffenden Landesministeriums untersteht, also keine öffentliche Stelle des Bundes ist. Neben der Möglichkeit, sich an die zuständige Aufsichtsbehörde zu wenden, wurde dem Antragsteller empfohlen, sich an die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) zu wenden, auf die auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung hinweist (Website der UPD: www.patientenberatung.de).
4. Streitigkeiten mit Nachbarn wegen Spaziergängen mit Blindenführhund
Die Ehefrau eines Blinden wandte sich mit der Bitte um Hilfe an die Schlichtungsstelle BGG, da er bei Spaziergängen mit seinem ausgebildeten Blindenführhund von Nachbarn angefeindet worden sei. Diese behaupteten diverses Fehlverhalten des Blindenhundes und Verstöße des Blindenhundführers gegen Landesgesetze bei der Haltung von Blindenführhunden. Sie schalteten das städtische Ordnungsamt ein.
Die Besonderheit dieser Auseinandersetzung war, dass gerade nicht das Zutrittsrecht nach dem BGG betroffen war. Daher war ein Schlichtungsverfahren nach dem BGG nicht möglich. Um Unterstützung zu bekommen, wurde eine Kontaktaufnahme mit dem Beirat der Stadt für Menschen mit Behinderungen angeregt. Zur Klärung von Missverständnissen mit dem städtischen Ordnungsamt wegen landesrechtlicher Bestimmungen wurde außerdem vorgeschlagen, sich an die zuständige Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen zu wenden.
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